02 | 2022Ingo Seeligmüller

Beschleunigung von Genehmigungsverfahren: Zwei Gutachten zeigen neue Ansätze

<h1>Beschleunigung von Genehmigungsverfahren: Zwei Gutachten zeigen neue Ansätze</h1>

Die Beschleunigung von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren kann als wesentlicher Schlüssel für das Gelingen der Energiewende angesehen werden. Vor diesem Hintergrund ist es das erklärte Ziel der Bundesregierung, eine neue Planungskultur in Deutschland zu verwirklichen. Im Koalitionsvertrag nimmt das Thema „Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung“ gleich im ersten Kapitel daher eine zentrale Stellung ein. Zwei kürzlich veröffentlichte Gutachten zeigen nun Ansatzpunkte auf, wie aus den Plänen im Koalitionsvertrag Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Verwaltungspraxis werden könnten. 

Das Gutachten der DialogGesellschaft 

In dem Gutachten der DialogGesellschaft, das von der Rechtsanwaltskanzlei Becker Büttner Held erstellt worden ist, werden neun „Beschleunigungshebel“ identifiziert und auf ihr Potenzial sowie ihre Machbarkeit hin untersucht. Einführend stellt das Gutachten fest, dass die in Deutschland etablierten Plan- und Genehmigungsverfahren fachliche Tiefe und Detailbetrachtung mit Interessenausgleich durch Öffentlichkeitsbeteiligung verbinden. Durch die Lösungsansätze, die im Gutachten skizziert werden, sollen daher weder das Prinzip der Sorgfalt noch die Beteiligungsmöglichkeiten oder der Rechtsschutz beschnitten werden. 

Die Beschleunigungshebel wenden sich sowohl an die Legislative als auch an Vorhabenträger und Behörden. Zudem werden die vorgeschlagenen Maßnahmen in eine dreiteilige Skala im Hinblick auf Komplexität, politische Durchsetzbarkeit und Schnelligkeit der Umsetzung aufgeteilt und bewertet. Eine übersichtliche Darstellung der gutachterlichen Einordnung findet sich auf der Website der DialogGesellschaft.

Gutachten Verfahrensbeschleunigung Textbild

Neben Ansätzen, die eine Verbesserung der finanziellen, personellen und digitalen Ausstattung der Behörden vorsehen, ist unserer Ansicht nach insbesondere die vorgeschlagene Maßnahme V (Begleitung vor Genehmigungseinreichung) dazu geeignet, die Akzeptanz für ein Vorhaben zu steigern. Demnach sollte das Instrument des „Vorscoping“ sowie insgesamt die Möglichkeiten von Vorhabenträgerinnen, die Genehmigungsbehörde bereits frühzeitig vor der Antragstellung in die Projektkoordination einzubinden, entwickelt werden. Bei solchen „Vorgesprächen“ zwischen Vorhabenträgern und Interessengruppen könnte die Behörde eine vermittelnde Funktion übernehmen.

„Als Inhalt bietet es sich insbesondere an, die bislang bestehende Hinwirkungs- in eine aktive Mitwirkungspflicht der Genehmigungsbehörde umzuwandeln. Auf diese Weise könnte erreicht werden, dass die Behörde die sich durch die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bietenden Vorteile vollumfänglich auszuschöpfen verpflichtet ist.“ (BBH Gutachten: 16) 

Aus unserer Beratungspraxis und durch unsere langjährigen Erfahrungen mit Planungs- und Genehmigungsverfahren wissen wir, dass die Geschwindigkeit eines Verfahrens in erheblichem Umfang auch von der frühzeitigen und aktiven Mitwirkung der Behörden abhängig ist. Eine durch die Genehmigungsbehörde begleitete frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bietet die Chance einer Effizienzsteigerung und damit Beschleunigung des Verfahrens, da schon vor Antragstellung die wesentlichen Streitpunkte geklärt werden können. 

Das Gutachten des Verbands der Chemischen Industrie 

Ein weiteres Gutachten zur Genehmigungs- und Planungsmodernisierung mit dem Untertitel „Optionen für eine Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung“ wurde kürzlich vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) vorgelegt. Das von der Rechtsanwaltskanzlei Luther im Auftrag des VCI erstellte Gutachten schlägt vor, die gesetzlichen Vorgaben zur Öffentlichkeitsbeteiligung an ihrem Beitrag zur Funktionserfüllung auszurichten. Eine „verfassungsrechtliche Rechtfertigung zur Überhöhung der Verfahrensbeteiligung der Öffentlichkeit“ sei allerdings nicht gegeben, merken die Autoren kritisch an. 

„Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist (…) ungeachtet teils berechtigter Kritik an ihrer konkreten Ausgestaltung aus der modernen Planungs- und Genehmigungspraxis nicht mehr wegzudenken. Sie dient der Information der zuständigen staatlichen Stellen, hat grundrechtsschützende Wirkungen und kann zur Akzeptanz staatlicher Entscheidungen und damit auch zur Befriedung beitragen.“ (Luther Gutachten: 5) 

Differenziert betrachtet das Gutachten die umweltvölkerrechtlichen Bestimmungen der Aarhus-Konvention und des Europarechts als verbindlichen Rahmen für den deutschen Gesetzgeber. Im Hinblick auf die Beteiligung der Öffentlichkeit an Planungs- und Genehmigungsverfahren betont das Gutachten hierbei die stringente Differenzierung zwischen der allgemeinen (Jedermann-) Öffentlichkeit und der betroffenen Öffentlichkeit (einschließlich der Umweltverbände). Mit Blick auf die Genehmigungspraxis in Deutschland stellen die beiden Autoren fest, dass das deutsche Anlagenzulassungsrecht, das eine Beteiligung der allgemeinen (Jedermann-) Öffentlichkeit vorsieht, über die Anforderungen des Umweltvölker- und Europarechts hinausgeht. 

Die in der Genehmigungspraxis regelmäßig durchgeführten Erörterungstermine „mit zeit- und ressourcenaufwändiger Vor- und Nachbereitung“ werden von den Autoren daher kritisch betrachtet. Ein Entfall aufwendiger Erörterungstermine wäre nach Ansicht der Autoren mit deutlichen Beschleunigungseffekten verbunden. 

„Der Erörterungstermin bietet regelmäßig keinen Erkenntnisgewinn, der über die bereits schriftlich eingereichten Stellungnahmen hinausgeht. Gerade bei kontroversen Vorhaben kann er zudem häufig die in ihn gesetzten Erwartungen auch der Öffentlichkeit nicht erfüllen, weil diese hier mit einer feststehenden Projektplanung und einem Rechtsanspruch des Vorhabenträgers auf Genehmigungserteilung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen konfrontiert wird.“ 

Die beiden Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG es oftmals besser erlauben wird, einen auf Akzeptanzgewinnung ausgerichteten wechselseitigen Kommunikationsprozess zu initiieren. 

Fazit 

Abschließend kann festgehalten werden, dass beide vorgestellten Gutachten die Bedeutung einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung, die bereits vor Antragstellung und mit wirklichen Handlungsspielräumen ansetzt, herausstellen. Wir teilen diese Sichtweise, denn unserer Meinung nach geht es in Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung nicht darum, Akzeptanz für ein bereits durchgeplantes Projekt zu erhalten, sondern darum, gemeinsam mit der betroffenen Öffentlichkeit ein für die Allgemeinheit akzeptierbares Projekt zu entwickeln.   


Weiterführende Informationen: 

Studie DialogGesellschaft/BBH: Beschleunigungsansätze für Planungs- und Genehmigungsverfahren

BBH Twitter

Studie VCI/Luther: Genehmigungs- und Planungsmodernisierung in Deutschland - Optionen für eine Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung

VCI Twitter