07 | 2022Ingo Seeligmüller

Ausbau der Windenergie: Mehr Partizipation ermöglichen, Prozesse beschleunigen

<h1>Ausbau der Windenergie: Mehr Partizipation ermöglichen, Prozesse beschleunigen</h1>

Die Bundesregierung hat sich im Frühjahr ambitionierte Ziele für einen beschleunigten Ausbau von Photovoltaik und Windenergie gesetzt. Denn, trotz hoher Akzeptanz in der Bevölkerung werden Windenergie und Photovoltaik bisher nicht schnell genug ausgebaut, um die Klimaziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund hat das Akademienprojekt ESYS („Energiesysteme der Zukunft“) – eine gemeinsame Initiative der Wissenschaftsakademien acatech, Leopoldina und Akademienunion – nun eine lesenswerte Stellungnahme mit Handlungsoptionen für einen raschen Ausbau vorgelegt.

Vier Handlungsfelder sehen sie als richtungsweisend an: eine Transformation der Planungs- und Genehmigungsprozesse, stärkere und frühzeitigere Bürgerbeteiligung, mehr ausgewiesene Flächen und eine konsequente Ausrichtung des gesamten Energiesystems auf erneuerbare Energien.

Die Autor:innen stellen in der Stellungnahme zunächst fest, dass sich Bürgerinnen und Bürger in das aktuelle Planungsgeschehen meist als Gegenstimmen einbringen, „obwohl gesamtgesellschaftlich die Bereitschaft zur Unterstützung der Klimapolitik groß ist und eine positive Einstellung zu erneuerbaren Energien klar dominiert.“ Allerdings sei gleichfalls auch festzustellen, dass der Anteil derjenigen, die die Ausgestaltung der Energiewende kritisch, als chaotisch oder ungerecht beschreiben, wächst.

Akzeptanz als Schlüssel

Gesellschaftliche Akzeptanz und Verantwortungsübernahme sehen die Autor:innen in ihrer Stellungnahme als Schlüssel für eine Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien. Dabei identifizieren die Autor:innen eine Reihe von Akzeptanzfaktoren und -potenzialen vor Ort und schlagen Handlungsoptionen vor, die u. a. darauf abzielen, Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten zu verbessern. So sehen die Autor:innen u. a. eine gesetzlich festgelegte Bürgerbeteiligung als Chance, das gestalterische Potenzial der Bevölkerung zu aktivieren. Denn der aktuelle Rechtsrahmen sieht zwar Beteiligung vor, „allerdings ohne Gestaltungsvorgaben für eine umfassende Beteiligung festzuschreiben und ohne sicherzustellen, dass eine frühe Beteiligung auch stattfindet.“ In der Praxis bedeutet dies, dass eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern meist erst nach dem Planentwurf stattfindet und der Handlungsspielraum für die geplanten Anlagen nur noch gering ist. „Anstatt Mitwirkung als gestalterische Möglichkeit zu erleben, erfahren die Bürgerinnen und Bürger sie als letzte Gelegenheit zur Abwehr scheinbar fremder, negativer Elemente.“

Mitgestaltung als wichtige Ressource für Akzeptanz

Um die Konfliktpotenziale, die dem Ausbau der Erneuerbaren Energien im Wege stehen, konstruktiv aufzulösen, sollte den Bürgerinnen und Bürgern auf verschiedenen Ebenen Raum zur kritischen Auseinandersetzung gegeben und Systemkompetenz geschaffen werden. Hier gilt es, interaktive Informations- und Beteiligungsformate (on- und offline) zu entwickeln, die das Verständnis von Zusammenhängen unterstützen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, die Komplexität der Energiewende im Dialog zu durchdringen. Als mögliche Formate werden das Decision Theatre-Verfahren, die Planungszelle/Bürgergutachten sowie ein zufällig ausgeloster Bürgerrat beschrieben. „Die Einarbeitung in eine komplexe Situation und deren beabsichtigte Wirkung bilden die Grundlage für ein größeres Vertrauen und stärkere Akzeptanz gegenüber steuernden Maßnahmen. Aktiv involvierende Formate (zum Beispiel ein Bürgergutachten zu Kriterien der Flächenauswahl) eröffnen zudem die Möglichkeit, Halbwissen und Mythen zu klären oder zumindest Wissenslücken offen zu benennen. Fehlwahrnehmungen, etwa eine Unterschätzung der allgemeinen Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, lassen sich korrigieren. Die Resilienz gegenüber der aus Wissenslücken resultierenden Verunsicherung kann so in der Gesellschaft gestärkt werden und Narrativen von Gegnern der Energiewende entgegenwirken.“ (Vgl. Seite 80)

Beteiligung_PlanungskulturAbbildung aus acatech/Leopoldina/Akademienunion (Hrsg.): Wie kann der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie beschleunigt werden? (Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung), 2022. ISBN: 978-3-8047-4252-9, S. 15

Vertrauen und Einverständnis durch Moderation und Koordination

Beteiligungsverfahren ermöglichen im besten Fall eine (Neu-)Bewertung und Identifikation mit dem jeweiligen Projekt. Durch die Teilnahme erwerben Anwohnerinnen und Anwohner tiefergehende Informationen, können Entscheidungen besser nachvollziehen und aktiv mitgestalten. Für das dauerhafte Gelingen von Beteiligung sind zwei wichtige Voraussetzung wesentlich. Zum einen sollte klar sein, dass Bürgerinnen und Bürger sachbezogen und ergebnisoffen an der Planung teilhaben können. Zum anderen sollte sichergestellt werden, dass die Kommunen das Wissen und die Ressourcen haben, die partizipative Planung zu koordinieren.

„Es hat sich gezeigt, dass eine solche Planungskultur dann gelingt, wenn die Kommune (insbesondere zu Beginn Bürgermeister, Gemeinderat und Kommunalverwaltung) von einem Akteur ohne eigenes ökonomisches Interesse darüber informiert und beraten wird, wie Windenergieanlagen in die Kommune passen. Ein solcher Beratungsprozess schafft bei den relevanten Akteuren vor Ort in den allermeisten Fällen die Akzeptanz für Windenergie.“ (Vgl. S. 81)

Der Einsatz von moderierenden und koordinierenden Agenturen, die keine eigenen finanziellen Interessen an dem Vorhaben verfolgen, habe sich in diesem Zusammenhang bewährt. Die Projektierer hätten zwar auch die benötigten Kompetenzen, können diese Aufgabe aufgrund ihrer Befangenheit und finanziellen Ausrichtung aber nicht übernehmen.

Finanzielle Teilhabe ermöglichen

Die Lokale Ablehnung von Windenergie- oder PV-Anlagen beruht der Stellungnahme zufolge oft auf dem Empfinden fehlender Gerechtigkeit bei der Verteilung von Lasten und Nutzen. „Dort, wo Bürgerinnen und Bürger unmittelbar vor Ort am Projekt teilhaben können, wird die Umsetzung sehr viel wahrscheinlicher“, so die Autor:innen. „Werden die Kommunen an den Erträgen beteiligt (zum Beispiel durch eine Windenergieabgabe), oder sind sie gar selbst Initiatorin und Investorin einer geplanten Anlage, steigt innerhalb der kommunalen Verwaltung und der politischen Parteien die Motivation, das Vorhaben voranzubringen“ (vgl. S. 83). Nach Ansicht der Autor:innen sollte die Beteiligung der Kommunen nach dem EEG daher vom Gesetzgeber obligatorisch – ohne Hintertür – gestaltet werden, statt wie bisher dem Anlagenbetreiber nur die Möglichkeit zugeben, Kommunen freiwillig zu beteiligen. Ein mögliches Revival von Bürgerenergieunternehmen und -genossenschaften können zu dem dazu beitragen, eine breite lokale Akzeptanz für Windenergie- und Photovoltaikanlagen zu schaffen.


Weiterführende Informationen:

acatech/Leopoldina/Akademienunion (Hrsg.): Wie kann der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie beschleunigt werden? (Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung), 2022. ISBN: 978-3-8047-4252 

„Hürden abbauen, Tempo erhöhen: Zwölf Maßnahmen für den Ausbau von Photovoltaik und Windenergie“ - Pressemitteilung „Energiesysteme der Zukunft“ vom 27.06.2022 

Deutschlandfunk: Energiewende - Wie sich der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen lässt: Beitrag vom 28.06.2022 

Solarparks ja - aber bitte mit mehr Bürgerbeteiligung, fordern Anwohner | Länderspiegel, ZDFheute Nachrichten (Youtube) vom 02.08.2022