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03 | 2024Ingo Seeligmüller

Ausgrenzung mit Augenmaß? - WZB Paper zu Einstellungen und Umgang der deutschen Wirtschaft mit der AfD

<h1>Ausgrenzung mit Augenmaß? - WZB Paper zu Einstellungen und Umgang der deutschen Wirtschaft mit der AfD</h1>

Die Einstellung zu und der Umgang mit populistischen Parteien und deren in Teilen extremistischen Positionen ist ein Thema, das unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bewegt. Sozialwissenschaftliche Studien zur AfD beschäftigten sich bisher vor allem mit einer gesellschaftlichen Einordnung des politischen Phänomens. Das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) hat nun ein Discussion Paper zur Positionierung der deutschen Wirtschaft und ihrer Verbände gegenüber der AfD vorgelegt. Es basiert auf einer quantitativen und qualitativen Befragung von Hauptgeschäftsführern großer Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände. 

Die Ergebnisse der Befragung zeigen eine klare Ausgrenzungsstrategie der Wirtschaft gegenüber der AfD, bedingt durch fehlende programmatische Überlappungen und die Bewertung der Partei als politisches und ökonomisches Risiko. Trotzdem existieren Bedenken bezüglich der möglichen Effekte dieser Ausgrenzung auf eine mögliche Opferrolle der AfD und die Durchführbarkeit dieser Strategie, falls die AfD zunehmend politische Verantwortung übernimmt. Im folgenden Blogbeitrag fassen wir die wesentlichen Aussagen und Erkenntnisse der Befragung zusammen.

Das Paper beschreibt fünf Hauptstrategieoptionen, für Unternehmen sowie für Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände im Umgang mit rechtspopulistischen Kräften. Diese reichen vom öffentlichen und nicht-öffentlichen Widerspruch gegen Rechtspopulisten (Loud/Soft Voice) über eine verdeckte und öffentliche Unterstützung von rechtspopulistischen Parteien und deren Positionen (Implicit/Explicit Loyalty) bis zum Rückzug aus Standorten und Investitionsentscheidungen (Exit). Beispielhaft werden dabei einzelne „Loud Voice“ Strategien von Verbänden und Unternehmen genannt, wie z. B. der Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ oder die Thüringer Jenoptik mit der Kampagne „Bleib offen für …“. Eine öffentliche Unterstützung der AfD so die Autoren, „kommt für große Unternehmen sowie Wirtschafts- und Unternehmensverbände in Deutschland bisher kaum in Frage“.

Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der AfD erläutern die Autoren die anfängliche wirtschaftspolitische Positionierung der AfD als eine Mischung aus wirtschaftsliberalen und rechtspopulistischen Elementen. Mittlerweile, so die Autoren, hat sich die Partei jedoch auch mit Forderungen, die über traditionell wirtschaftsliberale Ansätze hinausgehen, am rechten Rand des politischen Spektrums positioniert und plädiert für ein solidarisch-patriotisches Konzept, das insbesondere auf "kleine Leute" und den Mittelstand ausgerichtet ist. 


WZB Strategieoptionen AfDQuelle: WZB Discussion Paper ZZ 2024-602

In ihrer Analyse weisen die Autoren darauf hin, dass die AfD aus der Perspektive der reinen Interessenvertretung, „zumindest sozial-, energie- und finanzpolitisch als ein potenzieller politischer Partner für die deutsche Wirtschaft“ betrachtet werden könnte. Dass eine Annäherung bisher kaum öffentlich zu beobachten ist, führen die Autoren auf grundlegende Bedenken der Wirtschaft gegenüber protektionistischen Ansätzen, der positiven Orientierung an der EU und der Notwendigkeit der Zuwanderung von Arbeitskräften zurück.

Aus den Befragungsergebnissen können folgende Schlüsselableitungen zusammengefasst werden:

  1. Die Befragung zeigt, dass die Vertreter der deutschen Wirtschaft der AfD durchweg kritisch gegenüberstehen. Es bestehen kaum programmatische Überschneidungen zwischen den Positionen der Wirtschaftsverbände und der AfD, was auf eine klare Ausgrenzungsstrategie der Wirtschaft gegenüber der Partei hindeutet. Die Partei wird als politisches und ökonomisches Risiko bewertet, insbesondere wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue und ihrer Regierungsfähigkeit.
  2. Trotz der erkannten programmatischen Differenzen und des Risikos, das die AfD darstellt, bestehen unter den Hauptgeschäftsführern Zweifel, inwiefern eine Ausgrenzung der „Viktimisierungsstrategie“ der AfD in die Karten spielen könnte. Es besteht Unsicherheit darüber, ob und wie eine solche Ausgrenzung aufrechtzuerhalten ist, sollten die Rechtspopulisten vermehrt in politische Verantwortung gewählt werden.
  3. Die Befragung zeigt, dass eine überwältigende Mehrheit der Verbände eine Kooperation mit der AfD vermeidet, selbst wenn programmatische Überschneidungen existieren. Diese Haltung gilt auch für den hypothetischen Fall, dass die AfD zukünftig weiter an Zulauf gewinnt. Nur eine kleine Minderheit der Befragten widerspricht der Aussage, eine Kooperation zu vermeiden, wenn die AfD eine ähnliche Position vertritt.

Die Diskussion im Paper hebt hervor, dass die deutsche Wirtschaft und ihre Verbände die AfD überwiegend kritisch sehen, tendenziell meidet und keinen aktiven Kontakt oder eine Zusammenarbeit mit ihr suchen, da die AfD insgesamt als systemgefährdend und nicht regierungsfähig wahrgenommen wird. Eine „Komplettblockade“ oder „Ausgrenzungsstrategie“ wird von Verbandsverantwortlichen jedoch als riskant betrachtet, insbesondere wenn die AfD politische Macht erlangt. „Sobald die AfD Landräte oder Stadtoberhäupter in für die Wirtschaft wichtigen Regionen stellt, stößt eine Ausgrenzungsstrategie schon aus funktionalen infrastrukturellen Kooperationsbezügen sowie protokollarischen Gründen an ihre Grenzen.“

Im Ergebnis der Diskussion kommen die Autoren zu der Erkenntnis, dass es keine einfache Lösung für den Umgang mit der AfD gibt und dass die klare Abgrenzung der deutschen Wirtschaft gegenüber der AfD nicht nur eine Frage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch im Eigeninteresse der Wirtschaft liegt. Dabei gelte es mit Augenmaß zu agieren, denn die Erfahrungen mit rechtspopulistischen Parteien in anderen Ländern zeigen, dass diese keine verlässlichen Partner für die Wirtschaft sind. Die bevorstehenden Landtagswahlen 2024 in Ostdeutschland werden in diesem Zusammenhang als kritische Herausforderung gesehen, bei der sich zeigen wird, wie tragfähig die Strategien der deutschen Wirtschaft im Umgang mit der AfD sind.

Zum WZB Discussion Paper:

Bergmann, Knut / Diermeier, Matthias / Kinderman, Daniel / Schroeder, Wolfgang (2024). Die deutsche Wirtschaft und die AfD: Erfahrungen, Befunde und erste Forschungsergebnisse, WZB Discussion Paper ZZ 2024-602