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03 | 2023Ingo Seeligmüller

Beschleunigungsgesetze & Öffentlichkeitsbeteiligung - Gegensatz oder Chance?

<h1>Beschleunigungsgesetze & Öffentlichkeitsbeteiligung - Gegensatz oder Chance?</h1>

Das neue Deutschlandtempo gewinnt weiter an Fahrt. Das ist gut und notwendig. Bundestag und Bundesrat haben Regelungen zur Umsetzung der sogenannten EU-Notfallverordnung (Verordnung EU 2022/2577) beschlossen. Gemeinsam mit der Novelle des Raumordnungsgesetzes wurden im Windenergieflächenbedarfsgesetz, im Windenergie-auf-See-Gesetz, im Energiewirtschaftsgesetz und im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung neue Regelungen verabschiedet. Damit haben künftig die Bundesländer und Genehmigungsbehörden die gesetzliche Grundlage, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraftanlagen, sowie die erforderliche Erweiterung des Stromnetzes deutlich schneller voranzutreiben als bisher.

In der Vergangenheit hat vor allem die Pflicht zur zeitaufwendigen Prüfung der Umweltverträglichkeit und des Artenschutzes für langjährige Verfahren gesorgt. Nach den neuen Vorschriften entfallen diese in ausgewiesenen Gebieten, die bereits eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchlaufen haben. Um die artenschutzrechtlichen Belange dennoch zu wahren, stellen die zuständigen Behörden sicher, dass der Betreiber angemessene Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen durchführt oder, wenn dies nicht möglich ist, einen finanziellen Ausgleich in ein Artenhilfsprogramm leistet. (Weitere Details siehe PM des BMWK vom 10.02.2023)

Der Konflikt zwischen Umwelt- und Landschaftsschutz auf der einen Seite und Versorgungssicherheit und Klimaschutz auf der anderen Seite ist nicht neu. In der Vergangenheit schien es, als könnten wir uns jede Zeit für dessen „gerechte“ Lösung nehmen. Doch die Bedingungen haben sich geändert. Erstens hat die Notwendigkeit von Klimaschutzbemühungen stetig zugenommen und zweitens erfordert die Zeitenwende durch den russischen Angriffskrieg einen schnellen Wandel der Energieversorgung. Der Faktor Zeit hat damit enorm an Bedeutung gewonnen mit der Folge, dass der Zielkonflikt auch zwischen Klima-, Landschafts- und Artenschutz neu verhandelt werden muss. Hier gibt es keinen Königsweg. Unter Abwägung gesamtgesellschaftlicher Interessen hat sich die demokratisch legitimierte Bundesregierung mit dem grünen Minister für Wirtschaft und Klimaschutz in dieser Zwangslage für Zugeständnisse bei der Prüfung für Umweltverträglichkeitsprüfung und beim Landschaftsschutz entschieden. Hierdurch soll eine entscheidende Zeiteinsparung realisiert werden. Was bedeutet das für die Öffentlichkeitsbeteiligung?

Offensichtlich ist, dass eine intensive Beteiligung der Öffentlichkeit bei den thematisch betroffenen Projekten nicht zu ihrer zeitlichen Verlängerung beitragen darf. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Vorteile und Prinzipien der Partizipation plötzlich über Bord geworfen werden dürfen. Im Gegenteil. Erstens besteht in dieser schwierigen Situation eine erhöhte Notwendigkeit zur intensiven Kommunikationsbegleitung der betreffenden Projekte. So müssen insbesondere Bürgerinnen und Bürger, die vom Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze vor Ort direkt betroffen sind, gründlich über die systemischen Zusammenhänge und die Notwendigkeit der Maßnahmen aufgeklärt und informiert werden. Zudem kann im Zuge einer ausgiebigen Informationsversorgung auch das Bewusstsein für gesamtgesellschaftliche Verantwortung gestärkt werden.

Zweitens gilt mehr denn je der Grundsatz, eine Öffentlichkeitsbeteiligung so früh wie möglich anzusetzen. Nur so besteht die Chance, ohne Zeitverlust auch eine Konsultation mit den Bürgerinnen und Bürgern voranzustellen. Sie kann einen wichtigen Beitrag zu den geforderten Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen leisten sowie für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen. Denn auch diese bleibt trotz aller Beschleunigungsgesetze für die Stabilität und Geschwindigkeit der anstehenden Projekte unverzichtbar.