09 | 2022Ingo Seeligmüller

Debatte: Energiepolitische Ziele - Vom Dreieck zum Viereck?

<h1>Debatte: Energiepolitische Ziele - Vom Dreieck zum Viereck?</h1>

Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit. So lauten die geläufigen Ziele der Energiepolitik die gemeinhin auch als energiepolitisches Zieldreieck bekannt sind.

Bei näherer Betrachtung, auch im historischen Kontext, stellt man schnell fest, dass dieses magische Zieldreieck nicht in Stein gemeißelt ist, sondern vielmehr das Ergebnis eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses ist. Und noch viel mehr: Was sich zunächst nach einer recht eindeutigen Vorgabe anhört, ist bei näherer Betrachtung eine Gleichung mit drei Unbekannten. So stehen die drei Ziele nicht selten untereinander in einem Konfliktverhältnis. Das haben wir aktuell in besonderem Maße zu spüren bekommen, als zwar die Wirtschaftlichkeit durch günstiges russisches Erdgas hervorragend bedient wurde, aber gleichzeitig die Versorgungssicherheit aus dem Blick geraten ist. Ebenso verhält es sich mit der Umweltverträglichkeit und dem Thema Klimaschutz, deren Berücksichtigung nun zumindest temporär in Konflikt mit der Versorgungssicherheit steht. Man könnte also eigentlich auch gut von einem Energiepolitischen Konfliktdreieck sprechen.

Ein damit im Zusammenhang stehender Konflikt besteht in der zeitlichen Perspektive, die durch das energiepolitische Zieldreieck nicht gelöst wird. So schonen in langer Frist erneuerbare Energien zwar die Umwelt und das Klima, mittelfristig aber wird die Wirtschaftlichkeit und die Versorgungssicherheit stark belastet.

Zutage tritt jetzt ein viertes Ziel, das seit der Energiewende hin zur Umweltverträglichkeit immer sichtbarer und in der aktuellen Energiepreiskrise unübersehbar wurde: Die Sozialverträglichkeit. Sie schien lange Zeit durch das Ziel der Wirtschaftlichkeit abgedeckt zu sein. Jetzt jedoch wird die Energieversorgung zu einem existenzbedrohenden Faktor für viele Bürgerinnen und Bürger. Die Energiepolitik muss die Sozialverträglichkeit mitdenken. Das energiepolitische Zieldreieck ist faktisch zu einem Zielviereck geworden.

Da die Ziele in keiner direkten hierarchischen Ordnung stehen, müsste man theoretisch eine Lösung finden, die allen Zielen gleichermaßen gerecht wird, was aus oben genannten Gründen unmöglich ist. Man kann deshalb eigentlich wohl von einem „magischen Viereck“ der energiepolitischen Ziele sprechen. Die Gewichtung der jeweiligen Ziele unterliegen dabei einem gesellschaftlichen Diskurs, der in parlamentarischen und bisweilen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen mündet. In den Parlamenten manifestieren sich parteipolitische Prioritäten der jeweiligen Regierung. Dort setzt sich trotz unterschiedlicher Favorisierung die Überzeugung durch, dass eine Sozialverträglichkeit in jedem Fall gegeben sein muss. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zudem in seiner überparteilichen Autorität im vergangenen Jahr für einer Priorisierung der Umwelt- und Klimaschutzziele ausgesprochen. So bleiben im magischen Viereck eigentlich nur zwei Variable übrig: Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Dieser Konflikt reicht allerdings für harte Kontroversen aus.

Energiepolitische_Ziele_Strategie_BrandenburgAuszug Energiestrategie 2040, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) Brandenburg

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Sichtweise der Landesregierung von Brandenburg, die kürzlich ihre neue Energiestrategie verabschiedet hat. Darin fügt sie dem bisherigen energiepolitischen Zieldreieck das Ziel „Akzeptanz und Beteiligung“ hinzu und macht daraus ein Zielviereck. Obwohl dies nach unserer Einschätzung nicht die Ziel- sondern die Mittelebene betrifft, können wir der grundsätzlichen Bedeutung dieses Punktes nur zustimmen. Wir müssen letztendlich die Priorisierung der Ziele immer wieder partizipativ aushandeln. Andernfalls geraten wir in gesellschaftliche Konflikte, die weit über die der Energieversorgung hinausreichen.


Weiterführende Informationen:

Bettzüge, Marc Oliver (2022): „Das energiepolitische Zieldreieck: ein überholtes Konzept?“, S. 10, Forum für Zukunftsenergien: Resilienz – Innovation – Wachstum. Energie für die postpandemische Zeit, Schriftenreihe des Kuratoriums, Band 15

Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) Brandenburg: Energiestrategie 2040