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03 | 2025Ingo Seeligmüller

Infrastruktur im Fokus – zwischen Finanzierung, Sicherheit, Akzeptanz und Populismus

<h1>Infrastruktur im Fokus – zwischen Finanzierung, Sicherheit, Akzeptanz und Populismus</h1>

Die Debatte um Infrastruktur hat derzeit eine hohe politische Aufmerksamkeit – nicht nur aufgrund steigender Investitionsbedarfe und Finanzierungsfragen, sondern auch im Kontext sicherheitspolitischer Überlegungen. Eine leistungsfähige, widerstandsfähige Infrastruktur ist essenziell für wirtschaftliche Stabilität, Energieversorgung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch während der Bedarf unbestritten ist, sorgen viele Infrastrukturprojekte der industriellen Transformation für kontroverse Diskussionen und Widerstand.

Zeitlich sehr passend, widmet sich die aktuelle Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) exklusiv dem Thema Infrastruktur und beleuchtet darin unter anderem die Herausforderungen und Konflikte, die mit der Planung und Umsetzung solcher Vorhaben einhergehen. Zwei Beiträge, die für uns mit dem Fokus "Akzeptanz" von besonderem Interesse sind, möchten wir folgend empfehlen.

Warum Infrastrukturprojekte auf Widerstand stoßen

Der Artikel von „Gebraucht, aber gehasst“ Matthias Diermeier und Armin Mertens zeigt, dass Infrastrukturprojekte in der öffentlichen Wahrnehmung oft als selbstverständlich gelten – bis ein konkretes Bauvorhaben im direkten Umfeld entsteht. Dann entstehen Ängste, Misstrauen und Konflikte. Die Autoren unterscheiden dabei zwischen zwei Ebenen der Akzeptanz:

  1. Sozialpolitische Akzeptanz: Infrastrukturprojekte genießen in der Regel eine hohe gesamtgesellschaftliche Zustimmung. Sie werden als essenziell für wirtschaftliche Entwicklung, Klimaschutz und technologische Innovation angesehen. Politische und wirtschaftliche Akteure betonen ihren übergeordneten Nutzen für die Allgemeinheit. Diese Akzeptanz spiegelt sich in nationalen Infrastrukturstrategien und übergreifenden Narrativen wider – etwa bei großen Verkehrsprojekten, erneuerbaren Energien oder digitalen Netzen. Die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz bedeutet jedoch nicht, dass einzelne Projekte nicht dennoch auf Widerstand stoßen können.
  2. Lokale Akzeptanz und der NIMBY-Effekt: Während Infrastruktur allgemein als notwendig betrachtet wird, ändert sich die Einstellung vieler Menschen, sobald ein Projekt in ihrer direkten Umgebung realisiert werden soll – ein Phänomen, das als „Not In My Backyard“ (NIMBY) bekannt ist. Dabei geht es nicht nur um egoistische Motive, sondern oft um konkrete Befürchtungen: Umweltbelastungen, Lärm, Beeinträchtigung der Landschaft oder wirtschaftliche Nachteile wie sinkende Immobilienwerte. Die Forschung zeigt, dass alle abgefragten Infrastrukturen mit zunehmender Distanz zum eigenen Wohnort besser akzeptiert werden. Das bedeutet, dass Menschen zwar eine funktionierende Infrastruktur wünschen, aber die negativen Auswirkungen nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung erfahren möchten.

Die Autoren betonen, dass dieser Widerstand oft durch unzureichende Information, mangelnde Beteiligung und ein geringes Vertrauen in politische Entscheidungsprozesse verstärkt wird. Wenn Bürgerinnen und Bürger sich übergangen oder nicht ernst genommen fühlen, eskaliert der Protest oft über das eigentliche Projekt hinaus und wird zu einer generellen Ablehnung von Infrastrukturmaßnahmen.

Ungleiche Infrastruktur und politische Radikalisierung

Ein weiterer lesenswerter Beitrag in der aktuellen APuZ-Ausgabe ist „Wir sind nur Menschen zweiter Klasse“ von Larissa Deppich. Sie thematisiert, dass Infrastruktur nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zugänglich ist. Während Ballungsräume oft von modernen Verkehrsanbindungen, schnellem Internet und umfassender Energieversorgung profitieren, sind ländliche Regionen häufig benachteiligt. Die ungleiche Verfügbarkeit von Infrastruktur hat tiefgreifende soziale Folgen: Sie beeinflusst den Zugang zu Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und medizinischer Versorgung.

Deppich argumentiert, dass infrastrukturelle Vernachlässigung oft eine Spirale der Abkopplung in Gang setzt: Fehlende Anbindungen verringern wirtschaftliche Perspektiven, was wiederum dazu führt, dass öffentliche und private Investitionen ausbleiben. Dadurch entstehen Räume, in denen sich soziale Ungleichheiten weiter verfestigen. Besonders alarmierend ist die politische Dimension dieser Entwicklung: Die Autorin zeigt auf, dass Regionen mit schlechter Infrastruktur oft ein erhöhtes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und demokratischen Prozessen aufweisen. Diese strukturelle Vernachlässigung begünstigt den Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien, die sich als Vertreter der „vergessenen Regionen“ inszenieren und die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke nutzen.

Die Forderung nach einer gerechteren Infrastrukturplanung ist somit nicht nur eine technische oder wirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Eine ausgewogene Infrastrukturpolitik kann dazu beitragen, soziale Spaltungen zu verringern und demokratische Strukturen zu stärken.

Wie kann Infrastrukturakzeptanz verbessert werden?

Die Beiträge in der APuZ-Ausgabe zeigen, dass eine gerechte und transparente Infrastrukturplanung essenziell ist, um Akzeptanz zu gewährleisten. Einige zentrale Maßnahmen sind:

  • Frühzeitige und transparente Kommunikation: Menschen müssen verstehen, warum ein Projekt notwendig ist und welche Vorteile es bringt.
  • Beteiligung auf Augenhöhe: Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur informiert, sondern aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
  • Gerechte Lastenverteilung: Projekte dürfen nicht nur wenigen Nutzen bringen, während andere die Hauptlasten tragen.
  • Ausgewogene infrastrukturelle Entwicklung: Neben urbanen Zentren müssen auch ländliche Räume angemessen berücksichtigt werden, um soziale Ungleichheiten nicht weiter zu verstärken.

Infrastrukturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe

Die aktuelle APuZ-Ausgabe macht deutlich, dass Infrastruktur nicht nur eine technische, sondern vor allem eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Wer Infrastrukturprojekte erfolgreicher gestalten will, muss nicht nur über Beton und Stahl sprechen, sondern vor allem über Menschen, ihre Sorgen und ihre Vorstellungen von Zukunft.

Als Agentur für strategische Akzeptanzkommunikation beschäftigen wir uns intensiv mit diesen Fragen. Die Herausforderungen, die die Artikel beschreiben, erleben wir in unserer Arbeit täglich. Unsere Erfahrung zeigt: Infrastruktur kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht nur technisch funktioniert, sondern auch sozial eingebettet ist. Mehr Beteiligung, mehr Dialog, mehr Vertrauen – das sind die Zutaten für eine Infrastruktur, die nicht nur gebraucht, sondern auch gewollt wird.


Hier geht es zur aktuellen Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte.