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05 | 2017Dr. Stefan Kaletsch

Kommentar: Partizipation & die Vitalisierung demo­kra­tischer Instinkte

<h1>Kommentar: Partizipation & die Vitalisierung demo­kra­tischer Instinkte</h1>

Das Thema Partizipation steht mittlerweile hoch im Kurs. Insbesondere Bürgerbeteiligungen bei Infrastrukturprojekten und Städteplanungen sind Standard geworden. Und sie sind intensiver, als das früher der Fall war. Die Beteiligungsprojekte von gestern beschränkten sich im Regelfall auf eine Information über Vorhaben, die von Fachleuten am Reißbrett entworfen wurden. Kritische Bürger begnügten sich ihrerseits meistens damit, sich nach Fertigstellung über das Ergebnis zu empören oder bestenfalls zu belustigen, wenn es ihnen nicht gefiel. Die Zeiten haben sich geändert. Heute wollen Bürger, Stakeholder oder auch Angestellte gefragt werden, mitreden, gegebenenfalls sogar mitentscheiden. Das hat aus Sicht der Träger zunächst nicht nur Vorteile für die Durchführung eines Projektes, da es die Vorbereitung umfangreicher macht. Aber es wäre äußerst fahrlässig, heutzutage auf eine intensive Beteiligung zu verzichten.

Es handelt sich bei Beteiligungen keinesfalls um eine kurzzeitige Modeerscheinung. Vielmehr sind sie die konsequente Antwort auf einen andauernden gesamtgesellschaftlichen Wandel. Diesen sollte man gut verstehen, um zu wissen, worauf es bei einer Planungs- und Entscheidungspartizipation ankommt. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive - und die muss stets der Maßstab für eine seriöse Öffentlichkeitsarbeit sein - gibt es keinen Grund, alten Zeiten hinterher zu jammern. Hier geht es letztlich um nichts Geringeres als um die Intensivierung demokratischer Prozesse. Auch auf der großen politischen Bühne haben sich die Forderungen nach mehr direkten Beteiligungen, etwa in Form von Referenden, erhöht. Diese Parallelen besitzen denselben Ursprung. Die Menschen sind skeptischer gegenüber Führungseliten geworden. Viele glauben, dass die Inhaber von politischen oder wirtschaftlichen Ämtern eigensinnig gegen die Interessen von Bürgern, Kunden und Angestellten handeln. Diesem Verdacht liegen nachvollziehbare Argumente und auch einige empirische Negativbeispiele zugrunde, auch wenn sich pauschale Urteile verbieten. Doch gleichgültig wie berechtigt die generelle Skepsis ist, sie existiert. Und man muss Wege finden, mit ihr vernünftig und verantwortungsbewusst umzugehen. Wir konnten eindrucksvoll beobachten, wie im Falle der wohl folgenschwersten Beteiligung in der jüngeren Geschichte der Europäischen Union, das Volksvotum für den Brexit, eine gesunde Skepsis der Bürger zu einer überzogenen Blockadehaltung führte, an der alle späten Aufrufe zur Vernunft und jegliche Warnungen einer sich weitgehend einigen Expertenwelt abprallten. Der Brexit ist ein anschauliches Beispiel dafür, worin der Anspruch, der Reiz, aber auch die Tücken von Beteiligungsprozessen liegen – und zwar gilt das im Großen wie im Kleinen. Hören wir in diesen Dreiklang einmal kurz rein.

Zum Anspruch: Der berechtigte Anspruch von Bürgern aus Ländern mit einer langjährigen demokratischen Tradition besteht heute darin, in allen Bereichen, die sie betreffen, mitreden und im Zweifelsfall auch mitentscheiden zu wollen. Diese These, die ich einmal die These von der Vitalisierung demokratischer Instinkte nennen möchte, mag auf den ersten Blick der üblichen These vom fortschreitenden Demokratieverdruss widersprechen. Doch tatsächlich sind sie zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wer sein Mitspracherecht bei demokratischen Wahlen nicht wahrnimmt und nicht wählen geht, glaubt entweder, dass die zur Wahl stehenden Themen für das eigene Leben nicht relevant sind oder dass die Stimme keine Auswirkung auf die Politik haben wird. Ein dritter Grund besteht darin, dass man keine der angebotenen Alternativen befürworten möchte. Die Gemeinde der Nichtwähler setzt sich also zusammen aus Desinteressierten, Ahnungslosen und Nichtbeachteten. Letztere verlieren das Vertrauen in die Obrigkeit, resignieren oder organisieren, wenn möglich, einen Widerstand. Bei allgemeinen Wahlen bleibt ihnen oft nur das Fernbleiben von der Urne als Protest. Die zunächst Desinteressierten oder Ahnungslosen wiederum entdecken möglicherweise erst dann ihr Interesse, wenn die Maßnahmen bereits begonnen haben und schließen sich dann den Protesten der Nichtbeachteten an.

Zum Reiz: Der Reiz der Partizipation besteht darin, Zufriedenheit und Identifikation mit einem Projekt durch ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung herzustellen - aus Betroffenen Gestalter zu machen. Im Vergleich zu den alten Zeiten, als man die Bürger noch gefahrlos vor vollendete Tatsachen stellen konnte, ist das zunächst ein Machtverlust für Projektleitungen und Investoren. Doch Bürgerbeteiligungen sind mehr als Nullsummenspiele der Machtverteilung. Sie können – richtig und aufrichtig durchgeführt - eine Win-Win-Situation schaffen. So verlagern sich die Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen heutzutage ein Stück weit auf andere Bereiche, was mit Geschick, Einfallsreichtum, Erfahrung und sozialer Kompetenz bessere Ergebnisse hervorbringt als zuvor. Es geht in der Planungsphase eben nicht mehr nur um technische Details, sondern verstärkt auch darum, die Bedürfnisse aller Anspruchsgruppen höchstmöglich zu befriedigen. Das ist produktiv, weil es insgesamt das Gemeinwohl einer Gesellschaft steigert. Und das bleibt schließlich die Herausforderung für jede Infrastrukturmaßnahme. Dabei wird man es zwar – wie in jedem Abstimmungsprozess – niemals allen recht machen können. Aber es geht darum, Lösungen zu finden, die für (fast) alle Beteiligten akzeptabel sind und deren unvermeidbare Kompromisse als ausgewogen und gerecht empfunden werden. Darüber hinaus können unter Umständen durch den Dialog kreative Lösungen entstehen, die Kompromisse im Idealfall sogar überflüssig machen. Voraussetzung für gute Ergebnisse ist eine gute Verzahnung von interaktiver Kommunikation und technischer, rechtlicher sowie finanzieller Machbarkeitprüfung.

Und damit wären wir bei den Tücken angelangt: Sofern es sich um weitreichende Beteiligungen handelt, die Spielräume und damit auch eine gewisse Beteiligung an Entscheidungen in Aussicht stellen, muss man aufpassen, dass keine Erwartungen dort geweckt werden, wo sie – aus technischen, rechtlichen, finanziellen oder gesamtgesellschaftlichen Gründen – auf keinen Fall erfüllt werden können. Auch hier ist der Blick auf den Brexit anregend für ein besseres Verständnis. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das positive Bild vom EU-Ausstieg, das Boris Johnson und seine Mitstreiter vor dem Referendum malten, ein Zerrbild ist. Viele Briten, die für den Brexit votierten, entschieden sich lediglich für dieses Bild, weil sie es für realistisch hielten. Bekommen werden sie am Ende wahrscheinlich etwas anderes. Man kann daraus lernen, dass ein guter erfolgreicher Beteiligungsprozess zu jedem Zeitpunkt die wahren Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume vermitteln muss, damit eine solche Veranstaltung nicht zum Konzert unerfüllbarer Wünsche wird, an dessen Ende nur Enttäuschungen und Wohlstandsverluste entstehen können. In diese Falle sollte man nicht hineintreten.